Naturkundliche Herbstwanderung am 16.10.2022
Gleich am Anfang der Strecke machte uns Werner Goerlich auf eine etwa 70-jährige Ulme (Ulmus sp.) aufmerksam – eine Besonderheit, denn Ulmen in diesem Alter sind inzwischen selten, die meisten sterben lange bevor sie ein solches Alter erreichen durch das Ulmensterben (siehe auch Bericht vom 26.7.2021) Letzteres wird durch den Schlauchpilz Ophiostoma novo-ulmi verursacht und von mehreren Ulmensplintkäfer-Arten, v.a. dem Großen Ulmensplintkäfer (Scolytus scolytus), von Baum zu Baum übertragen. Die gelben Blätter dieser Ulme lagen zum großen Teil bereits am Boden, so waren die typische asymmetrische Blattbasis und an den meisten Blättern auch die drei „Öhrchen“ an der Blattspitze gut erkennbar. In Mitteleuropa sind drei Ulmenarten heimisch: die Bergulme (U. glabra), die Feldulme (U. minor) und die Flatterulme (U. laevis). Sicher unterscheiden kann man sie nur an ihren Früchten. Doch dies blieb uns verwehrt, denn alle drei Arten blühen im Frühjahr vor dem Laubaustrieb und die reifen Früchte fallen bereits im Sommer ab. Aufgrund des hohen Alters der besichtigten Ulme dürfte es sich um eine Flatterulme handeln, denn diese Art ist vom Ulmensterben weniger stark betroffen. Wegen ihres schwer zu bearbeitenden Holzes ist sie aber für die Holz- und Forstwirtschaft nicht sehr interessant. Und wir erfuhren, dass das Holz der Ulmen, sobald es im Sägewerk bearbeitet wird, als „Rüster“ bezeichnet wird.
Einige Meter weiter standen Fichten auf einer ehemaligen Wiese, die nicht mehr bearbeitet werden konnte und daher aufgeforstet wurde. Leider waren einige Fichten schon abgestorben. Ursache dafür kann die Trockenheit sein, aber auch Borkenkäfer wie der „Kupferstecher“ (Pityogenes chalcographus, Familie Rüsselkäfer). Wenn der Kupferstecher einen Baum befällt, sterben die Fichten von der Spitze her ab – und bis das auffällt, ist der Kupferstecher meist schon weitergezogen. Deshalb müssen auch die umgebenden Bäume gefällt werden.
Der Weg zur Ruine Stahleck (s. a. Bericht vom 3.10.2021) führte uns durch Buchenwald. Einzelne abgestorbene Stämme durften hier stehen bleiben und dienen nun Baumpilzen als Nahrungsgrundlage, was an den großen Pilz-Fruchtkörpern am Stamm zu erkennen war. Bei manchen Pilzarten entwickeln sich die korkartig harten Fruchtkörper über viele Jahre weiter. Die häufig sichtbaren Jahrring-ähnlichen Farbveränderungen entstehen durch Perioden starken Wachstums, die aber mehrfach im Jahr auftreten können.
Überhaupt die Pilze – sie haben vom Regen der letzten Wochen profitiert. Und so staunten wir an vielen Stellen über große Ansammlungen von verschiedenen Arten der Ständer-Pilze (Basidiomycota) auf dem Boden in unterschiedlichen Farbnuancen von weiß und cremefarben, von gelb über ocker zu braun, ja auch in Grau-Tönen.
Im kräftigen Pink leuchteten die Früchte der Pfaffenhütchen (Evonymus europaea). Wenn sie aufplatzen, erinnern sie an die alte Kopfbedeckung der Pfarrer. Das Holz ist sehr hart und glatt, dickere Zweige sind deshalb gut geeignet, um daraus Spindeln zum Spinnen von Wolle herzustellen. Das hat dem Pfaffenhütchen auch die Bezeichnung „Spindelstrauch“ eingebracht.
Zur Mittagspause kam die Sonne endgültig hinter den Wolken hervor und wir genossen unser Vesper am Grillplatz auf dicken gefällten Eschenstämmen (Fraxinus excelsior). Die graue Stammoberfläche wirkte fein graviert – und diese „Gravuren“ sind Gänge, die die Larven des Bunten Eschenbastkäfers (Hylesinus fraxini) in den Bast gefressen hatten, erklärte uns Werner Goerlich.
Die Sonne hatte einige Exemplare des Asiatischen Marienkäfers (Harmonia axyridis) hervorgelockt, die dann auf unseren Jacken und Hosen landeten. Die Art ist in ihrem Aussehen sehr variabel, manche haben schwarze Flügeldecken mit wenigen roten oder gelben Punkten, andere rote Flügeldecken mit wenigen oder auch mit vielen schwarzen Punkten. Ockergelbe Exemplare gibt es ebenfalls. Einst wurden sie zur Bekämpfung von Blattläusen in Gewächshäusern eingeführt, doch längst sind sie auch in der freien Natur fast überall zu finden, meist viel häufiger als unsere einheimischen Marienkäferarten, die immer seltener werden.
Süß- und Sauergräser, an besonders feuchten Stellen aber auch Binsen (Juncus sp.) standen rechts und links unserer Wege. So zum Beispiel die Rasenschmiele (Deschampsia cespitosa), deren Blätter durchscheinende „Längsstreifen“ aufweisen, wenn man sie gegen das Licht hält (s. a. Bericht vom 26.7.2021) oder Zwenken (Brachypodium sp.). Manche Arten wie das Welsche Weidelgras (auch Italienisches Raygras, Lolium multiflorum) blühten noch. Häufig war die Blaugrüne Segge (Carex flacca = C. glauca) mit ihren schmalen Blättern zu sehen, sowie die Waldsegge (Carex sylvatica). Wenn man ihre Blätter quer zerschneidet, sieht die Schnittkante aus wie ein M oder ein W.
Auch auf Giftpflanzen trafen wir, wie schwarz glänzende Tollkirschenfrüchte (Atropa belladonna) und sogar Früchte eines gelbblühenden Fingerhuts (Digitalis lutea oder D. grandiflora). Und immer wieder leuchteten uns die roten Lampions der Lampionpflanze (Physalis alkekengi) entgegen. Wie die Tollkirsche gehört sie zu den Nachtschattengewächsen (Solanaceae), ist also mit Kartoffeln, Tomaten und Auberginen verwandt. Alle Teile der Pflanzen sind giftig, außer den reifen Beeren, die angenehm säuerlich-fruchtig schmecken. Sie ist bei uns nicht heimisch, sondern eine alte Kultur- bzw. Zierpflanze aus Südeuropa. Heute dient sie vor allem als Dekoration. Andere Pflanzenarten waren schon ganz braun und fast blattlos, aber die Stängel standen noch in voller Größe und trugen Früchte, so z. B. die Engelwurz (Angelica sylvestris), Hundspetersilie (Aethusa cynapium), Behaarte Karde (Dipsacus pilosus) oder der Wasserdost (Eupatorium cannabinum). Die Sandkresse (Cardaminopsis arenosa) und häufiger auch die Rundblättrige Glockenblume (Campanula rotundifolia) erfreuten uns noch mit ihren Blüten.
Zur Kaffeezeit füllten wir unsere Trinkflaschen an der Bruderquelle. Hier sprudelt das klare Quellwasser aus Felsspalten, was Menschen auch früher schon zu schätzen und zu nutzen wussten. Arächologische Ausgrabungen der letzten Jahre hatten gezeigt, dass hier, ähnlich wie an den Gütersteiner Wasserfällen, eine Klosteranlage mit mehreren Gebäuden und dicker Umfassungsmauer bestand. Vorläufigen Erkenn-tnissen zufolge könnte die Anlage aus dem 14. Jahrhundert stammen und den Herren von Greifenstein, die auch die umliegenden Burgen erbauten, zuzuordnen sein. Nachdem wir die besondere Stimmung des Ortes genossen hatten, machten wir uns auf den Rückweg (siehe Karte). Felsen in unterschiedlichen Farben und Strukturen säumten den Weg. Werner Goerlich berichtete uns, dass einst Studenten im Arbeitsdienst des Dritten Reiches diesen Fahrweg in mühevoller Handarbeit hergestellt hatten.
Nach 9,7 km Wegstrecke und ca. 250 Höhenmetern erreichten wir gegen 16 Uhr 30 wieder den Ohnastetter Friedhof.