Naturkundliche Herbstwanderung am 8.10.2023
Bei Sonnenschein und leichter Bewölkung trafen sich elf Naturinteressierte wieder mit Werner Goerlich am Parkplatz des Upfinger Skilifts zwischen Gächingen und Sirchingen, der gleichzeitig direkt am Upfinger Ried liegt. Das Ried ist eines der auf der Albhochfläche seltenen Feuchtgebiete. Solche Feuchtgebiete sind meist eine Nachwirkung des „Schwäbischen Vulkans“, bei dem vor 11 bis 15 Millionen Jahren tiefliegende Grundwasserschichten durch aufsteigendes Magma erhitzt wurden. In der Folge kam es zu Dampfexplosionen, die alle darüberliegenden Gesteinsschichten durchschlugen. Die durcheinander gewirbelten Gesteinstrümmer und Basaltbrocken verfestigten sich anschließend zu einer wasserstauenden Schlotbrekzie. Auch einige Dörfer auf der Alb (z. B. Würtingen, Dottingen, Kleinengstingen, Teile von Upfingen) sind auf solchen Schloten angelegt worden, weil man dort Brunnen und Hülen anlegen konnte, was ansonsten im Karstgestein des Oberen Jura schwierig ist. Früher wurde das Ried bewirtschaftet, das Mähgut als Stalleinstreu genutzt. Heute ist es wegen der hier vorkommenden seltenen Pflanzen- und Tierarten ein Naturschutzgebiet, das aber weiterhin regelmäßig gemäht werden muss.
Unser Weg führte durch die Wiesen des Auentals hinauf, wo es im Talgrund weitere kleine Feuchtgebiete gibt, die jedoch weitgehend trocken lagen. Eines davon, eine Doline, wurde zum Naturdenkmal erklärt, an ihrem Rand leuchteten die purpurrot- bis pinkfarbenen Kapselfrüchte des Pfaffenhütchens (Euonymus europaeus), deren Form an die früher übliche Kopfbedeckung v. a. katholischer Geistlicher erinnert. Wenn sich die Fruchtklappen öffnen, wird zusätzlich der orange-farbene Samenmantel sichtbar. In manchen Jahren wird das Pfaffenhütchen stark von der Pfaffenhütchen-Gespinstmotte (Yponomeuta capnagella) befallen. Die Sträucher können dann bereits im Juni oder Juli völlig kahlgefressen und von den Gespinsten der Mottenlarven eingehüllt sein. Sie tragen dann keine Früchte. Viele Mottenlarven bieten wiederum bestimmten Parasiten wie einigen Arten der Raupenfliegen (Familie Tachinidae) gute Vermehrungsmöglichkeiten. So können die Parasiten dazu beitragen, dass man in anderen Jahren keine oder nur wenige Gespinstmotten an den Pfaffenhütchen findet.
Mitten in der Wiese fiel uns an hohen, vertrockneten Pflanzenstengeln ein kugeliges Gespinst auf. Bei näherem Hinsehen entdeckten wir daran eine Wespen- oder Zebraspinne (Argiope bruennichi, Familie Echte Radnetzspinnen), eine der größten bei uns lebenden Spinnenarten. Das Weibchen bewachte vermutlich seinen Eikokon, in dem die jungen Spinnen auch überwintern. Die auffällige quergestreifte Zeichung des Hinterleibs der Weibchen führte zu dem deutschen Namen der Art. Die Männchen sind wie bei den meisten Spinnenarten viel kleiner und unscheinbar. Die Weibchen bauen große Radnetze zwischen hohen Pflanzen, die durch einen charakteristischen weißlichen Zickzackstreifen im Zentrum gekennzeichnet sind.
Am Weg sahen wir Polter mit frisch geschlagenen Fichtenstämmen (Picea abies). Dabei handelt es sich um das Holz von Bäumen, die ein schwerer Sturm vor einigen Wochen umgeknickt hatte. Früher als Wiesen bewirtschaftete Flächen wurden in den letzten Jahrzehnten oft mit Fichtenreinbeständen aufgeforstet. Diese sind für Sturmschäden besonders anfällig. Eine blaugraue Verfärbung im Holz der Fichten zeigt einen Befall durch Bläue-Pilze an (verschiedene Ascomyceten oder Schlauchpilze). Diese Pilze greifen die eigentliche Holzsubstanz nicht an, so dass das Holz stabil bleibt, aber optisch beeinträchtigt ist. Der Befall mit Bläue-Pilzen verhindert die Infektion des Holzes durch andere Pilze.
Am Hang des Guckenbergs entlang gingen wir durch den Wald bis zum Grillplatz an der „Stirne“, wo wir uns eine Pause und das Vesper gönnten. Unterwegs fanden wir blühende Exemplare des Fuchs-Greiskrauts (Senecio ovatus), eine der spät blühenden Korbblütler-Arten. Sie bevorzugt Rohhumusböden, also nährstoffarme, oft saure Böden, in denen die organische Substanz wie Laub- oder Nadelstreu, nur wenig abgebaut ist. Eine Gruppe von älteren Douglasien (Pseudotsuga menziesii) fiel durch ihre grobrissige Borke auf. Die Bäume wurden von unten entastet, dadurch hat das danach wachsende Holz eine höhere Qualität, weil es weniger Astlöcher enthält. Douglasienholz ist relativ witterungsbeständig und dadurch für Holzprodukte im Außenbereich geeignet. An einigen gefällten, am Wegrand liegenden Nadelholzstämmen konnten wir interessante Beobachtungen zur tierischen Besiedlung des Holzes und der Rinde machen: neben verschiedenen Nacktschneckenarten fanden sich Doppelfüßer (Diplopoda), im Volksmund Tausenfüß(l)er genannt, aus der Ordnung der Schnurfüßer (Julida). Sie heißen Doppelfüßer, weil sie an jedem der zahlreichen Körpersegmente zwei Laufbeinpaare besitzen. Damit sich die Tiere koordiniert fortbewegen können, müssen die vielen Beine sehr genau gesteuert werden, was die Nervenzellen in den kleinen „Gehirnen“ in jedem Körpersegment, den Bauchganglien, übernehmen. Man kann diese Steuerung an den Bewegungen der Beine erkennen, die wie kleine Wellen am Körper des Tiers entlanglaufen. Bei Störung rollen sich die Tiere meist aber zu einer Spirale zusammen und verharren zunächst regungslos.
Unter der Rinde zeigten sich auch kleine ovale, aus Holzspänen oder anderem Pflanzenmaterial gebildete „Kammern“ (s. Bild). Dabei handelt es sich um die Puppenwiegen von Bockkäferarten (Familie Cerambycidae, z. B. Schrot-Zangenbock Rhagium mordax oder Kiefer-Zangenbock, Rhagium inquisitor), deren Larven im Holz und der Rinde leben und fressen. Das letzte Larvenstadium legt sich dann die Kammer an und verpuppt sich darin, bevor im Herbst der erwachsene Käfer ausschlüpft. Er nutzt die Kammer noch zur Überwinterung. Kreisrunde Löcher im Holz deuten auf die Larven von Holzwespen (Familie Sircidae) hin, während die Bockkäfer in der Regel ovale Bohrlöcher hinterlassen, weil sie meist einen besonders breiten Kopf mit ovalem Querschnitt haben. Auch viele Asseln, die einzige Gruppe von landlebenden Krebstieren (Crustaceae), beteiligen sich zwischen Holz und Borke an der Grobzerkleinerung des abgestorbenen Pflanzenmaterials. Dadurch sind sie auch im Gartenkompost sehr nützlich. Ihre Ausscheidungen werden von anderen Organismen wie Bakterien, Pilzen oder verschiedenen kleinen Tieren als Nahrung weitergenutzt. Einige Spinnen mit kleinen Netzen und Wohngespinsten ernähren sich von den anderen Tieren in diesem besonderen Biotop.
Nach der Mittagspause wanderten wir oberhalb des Birkenhofs am sonnigen Waldrand nach Osten. Von diesem Weg auf etwa 850 m ü NN hat man einen weiten Blick nach Süden über die Hochfläche der mittleren Alb. Weiter Richtung NO gelangten wir zum Naturschutzgebiet beim Eisenrüttel (NSG „Höhnriß-Neuben“). Teile davon liegen ebenfalls auf einem Vulkanschlot. Dort, wo man zwischen 1880 und 1900 den harten Basalt abgebaut hat, hatte sich ein Tümpel gebildet, der aber durch die Trockenheit nur noch wenig Wasser enthielt.
Unser nächstes Ziel war der Aussichtspunkt „Schwende“, von wo aus man einen großartigen Blick nach Osten über Rietheim hat. Wärend der kurzen Rast auf ca. 810 m ü NN hüpfte uns ein Grünes Heupferd (Tettigonia viridissima, Familie Laubheuschrecken) über den Weg. Es ist eine der größten einheimischen Heuschreckenarten, die neben ihrer Größe und relativ einheitlichen Färbung durch ihre langen, dünnen Fühler auffällt. Im Gegensatz zu den meisten Heuschreckenarten ernährt sich das Grüne Heupferd überwiegend von Insekten statt von Pflanzen. Wenn man sie in die Hand nimmt, wehren sich die Tiere durch ein deutlich spürbares Zwicken in die Haut, das sie mit ihren kräftigen, ganz vorne am Kopf sitzenden Mandibeln (paarige Mundwerkzeuge, „Oberkiefer“) ausführen.
Auf dem Rückweg zum Upfinger Ried kamen wir an der ehemaligen Jagdhütte des Unternehmers Robert Bosch vorbei. Streckenweise gingen wir durch ältere reine Fichtenbestände, die so dicht sind, dass es praktisch keinen Unterwuchs gibt.
Nach ca. 6 Std. und einer Wanderstrecke von 11,2 km mit ca. 210 Höhenmetern (Anstieg) kehrten wir zum Parkplatz zurück.