„China darf nicht Ausrede sein“
Ulrike Selje
(BUND KV Reutlingen)
Betrifft den Leserbrief: „Die Verursacher sitzen anderswo“, von Herrn Martin N. von 15.5.2024
Veröffentlicht in Reutlinger Nachrichten am 25.5.2024
Der hohe CO2-Ausstoß von China ist ein beliebtes Argument, um die CO2-Emissionen von Deutschland zu verharmlosen. Schließlich beträgt der Anteil von Deutschland an den weltweiten Emissionen nur 1,8 % und der von China 30 %. Trotzdem liegt Deutschland mit seinen CO2-Emissionen weltweit auf Rang 8 von 193 Nationen. Innerhalb der EU belegen wir den ersten Rang. Die meisten EU-Länder haben einen Ausstoß von unter 1 %.
Es wird viel zu selten bedacht, woher die chinesischen Emissionen kommen.
Zum ersten ist die chinesische Bevölkerung 16-mal größer ist als die von Deutschland. Geht man davon aus, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, dann ist es selbstverständlich, dass China 16-mal mehr CO2 emittiert „darf“ als Deutschland. Genaugenommen emittierte China 2019 die 15-fache Menge von Deutschland.
Man sollte also die pro-Kopf-Emissionen vergleichen. Hier liegen Chinesen und Deutsche mit jährlich rund 7,5 bis 8 Tonnen CO2 auf ähnlichem Niveau. Das heißt, sowohl Chinesen als auch Deutsche emittieren deutlich mehr CO2 als der weltweite Durchschnitt mit 4,7 Tonnen.
Noch vor 50 Jahren gehörte China zu den ärmsten Ländern der Welt. Erst in den 1980er Jahren begannen die Emissionen zu steigen, von einem extrem niedrigen Niveau aus. In dieser Zeit hatten alle westlichen Industrieländer schon zig Milliarden Tonnen CO2 in die Luft geblasen. In den 1980er Jahren wurden auf Anordnung des Parteivorsitzenden Deng Xiaoping Sonderwirtschaftszonen an der Pazifikküste eingerichtet. Hier wurden Waren und Halbfabrikate hergestellt, die wegen der geringen Löhne der ArbeiterInnen sehr preiswert waren. Diese chinesischen Produkte erhöhten den Lebensstandard der Menschen in den reichen Ländern, auch bei uns in Deutschland. Wir konnten uns viele Dinge kaufen, die unerschwinglich gewesen wären, wären sie in Deutschland hergestellt worden. So war China zur „Werkbank der Welt“ geworden.
Doch China blieb nicht die Werkbank. Chinesische Unternehmen haben sich weiterentwickelt und sind zu ernsthaften Konkurrenten westlicher Unternehmen geworden. Trotzdem werden weiterhin viele Waren aus China importiert, denn sie sind immer noch preiswert und gleichzeitig qualitativ gut. Dass die niedrigen Preise nicht mehr nur an niedrigeren Löhnen liegen, sondern auch an hohen Subventionen, wird zwar kritisiert, hält aber kaum jemanden davon ab, die Waren zu kaufen. Allein der Preis zählt.
Es wird gerne ignoriert, dass für die Herstellung all der Waren, die wir importieren, viel Energie verbraucht und viel CO2 freigesetzt wurde. So sind ein Teil der chinesischen Emissionen unsere Emissionen. Das gilt natürlich für den gesamten Welthandel. Doch da China das Exportland Nr. 1 ist, gilt diese Überlegung für dieses Land am meisten.
Das Fazit ist, soll China seine CO2 – Emissionen senken, dann müssen wir zwangsläufig unsere Importe und damit auch unseren Konsum verringern. Die Crux ist, dass das nicht vereinbar ist mit einer Wirtschaft, die ohne Wachstum zusammenbricht.
Doch man sieht, die Schuld für die hohen CO2-Emissionen können nicht allein China angelastet werden. Das ist viel zu einfach gedacht und dient nur dazu, einen Schuldigen zu finden, damit wir so weitermachen können, wie bisher.
Es darf nicht vergessen werden, dass China große Anstrengungen in Bezug auf den Ausbau Erneuerbarer Energien unternimmt. Das Land investierte bisher mehr in ihren Ausbau als die USA und die EU zusammen. 2023 hatte China einen Zubau von 170 GW, was fast der Hälfte der weltweit zugebauten Kapazitäten entspricht.
Trotzdem baut China noch immer neue Kohlekraftwerke. Der Anteil des Kohlestroms liegt bei rund 60 %. Auch verschwenden Chinesen große Mengen an Energie. Doch sowohl was die Kohleverstromung als auch was die Energieverschwendung betrifft, gilt das für viele andere Länder genauso.
Und so darf China nicht als faule Ausrede benutzt werden, nur um nicht bei sich selbst mit dem Einsparen von CO2-Emissionen anzufangen.
Ulrike Selje, Reutlingen
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Grund: Die Texte, die Ulrike Selje an die Zeitung geschickt hat, wurden von der Redaktion überarbeitet. Dadurch unterscheidet sich der Wortlaut der Originaltexte von den veröffentlichten Leserbriefen. Der Inhalt ist dabei gleichgeblieben. Da uns nur die Texte von Ulrike Selje als Datei vorliegen, müssten wir, um hier den genauen Wortlaut der Leserbriefe aus der Zeitung wiederzugeben, alle Artikel Wort für Wort abtippen. Da sich dadurch am Inhalt nichts ändert, haben wir uns entschieden, hier die Originaltexte von Ulrike Selje einzufügen.]